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INTERVIEW English version

„Die massenmediale Welt ist ein Metauniversum“
Birgit Sonna im Gespräch mit Günther Selichar über die Medienmaschinerie, ihre Mechanismen, Schwellen und Oberflächen

Birgit Sonna: Wer den künstlerischen Werdegang von Günther Selichar das erste Mal betrachtet, dürfte ob deines mehrfachen Perspektivenwechsels erstaunt sein: Du hast lange Kunstgeschichte studiert, wurdest in erster Linie als Fotokünstler ausgestellt und trittst auch als Medientheoretiker in Erscheinung. Wie klärst du für dich den künstlerischen Status innerhalb dieses Interessengeflechts?
Günther Selichar: Vermutlich zeigt sich der Kunsthistoriker darin, dass es lange Recherchephasen und allgemein ein großes Interesse für Theorie gibt. Allerdings habe ich in der Zeit, als die Kunstgeschichte noch wichtiger war in meinem Leben, parallel bereits als Künstler gearbeitet und ausgestellt. Kurz vor Ende des Studiums kam der Zeitpunkt, an dem ich mich entscheiden musste. Daneben habe ich immer wieder Texte geschrieben und Vorträge gehalten, in denen das Verhältnis meiner Arbeit zur Medientheorie und -politik nachdrücklich angesprochen wurde. Ausgangspunkt war im Prinzip dabei immer, dass die Fotografie eine Grundstufe dessen darstellt, was wir heute im medialen Universum erleben. Fotografie ist mittlerweile eingebunden in ein größeres Medienspektrum, macht in ihm aber zweifelsohne weiterhin ein wichtiges Moment aus.
So: Trotzdem werden deine Ausstellungen gerade in Institutionen, die auf Fotografie abonniert sind, einseitig unter dem Label Fotografie gehandelt. Empfindest du es nicht als problematisch, dass - insbesondere wenn es um den angeblichen Hype von Fotografie geht - immer noch derart altertümlich die Medien gegeneinander ausgespielt werden?
Se: Ich sehe mich nicht als Fotograf, sondern als jemand, der das Medium Fotografie zwar hauptsächlich, jedoch gleichrangig neben anderen Medien benutzt. Ich war immer daran interessiert, in vermeintlich fremde Bereiche einzudringen, weil dadurch eine gewisse Frische, Distanz gegeben ist, die das neue Medium bricht. Es war mir nicht so wichtig, akribisch eine schnell erkennbare Handschrift zu entwickeln. Ich glaube, dass die Handschrift in unserer Generation eher in einem geistigen Hintergrund liegt, der zu gewissen Arbeiten führt. So lässt sich womöglich erst über Jahre hinweg eine ästhetische Klammer in einem Werk finden. Die modernistische, oberflächliche Ablesbarkeit einer Handschrift greift bei konzeptueller denkenden Künstlern einfach nicht mehr.
So: Wobei dieses Phänomen immer noch nicht adäquat rezipiert wird. Das Gros des Kunstpublikums orientiert sich nach wie vor an einer wiedererkennbaren Handschrift.
Se: Leichte Identifizierbarkeit ist ohne Frage ein hilfreicher Faktor auf dem Kunstmarkt. Kann man eine Handschrift kaum oder gar nicht ausmachen, so ist der Vermittlungsaufwand wesentlich größer. Bei Projekten im öffentlichen Raum zum Beispiel, die ein größeres Publikum als das Kunstpublikum erreichen, finde ich es wichtig, die Rahmenbedingungen zu studieren. Bei interaktiven Konzepten, wo die Mitarbeit des Publikums entscheidend ist, kann man leicht eine falsche Strategie wählen, so dass es erst gar nicht zu den erhofften auslösenden Momenten kommt. So gilt es je nach Kontext sehr genau zu überlegen, wie man die Köder auswirft und das ist eben nicht unabhängig davon, ob man nach Karpfen oder nach Forellen fischt.
So: Wie hat man sich deine Art der Recherche vorzustellen? Als journalistische Arbeit oder eher als eine Art Feldforschung?
Se: Beides. Hinter den Arbeiten steht eine Beschäftigung mit allgemein medienbezogenen Fragestellungen, wie Übertragungssysteme, also ihre Benutzungsweisen oder ihre Technologien funktionieren. Mich reizt die Möglichkeit, diese Analysen auch gleichzeitig umzusetzen. Wenn es wie bei den „Suchbildern“ darum geht, das Projekt an Orten außerhalb der Metropolen für ein nicht näher einzugrenzendes Publikum rasch zu implantieren, dann muss man sich auch überlegen, welche möglichen Aufsprungrampen es für die Angesprochenen geben könnte, so dass sie aus sich herausgehen und sich auch beteiligen im Sinne eines gemeinsamen Schauens, Überprüfens und Dokumentierens. Es ging ja bei dem Rätselspiel mit Preisausschreiben um die Beteiligung an einem Prozess, der für alle Beteiligten nicht vorherbestimmbar war.



So: Ist dieser Prozess bei den „Suchbildern“ so aufgegangen, wie du ihn dir ursprünglich vorgestellt hast?
Se: Von der Effizienz dieser Möglichkeiten war ich durchaus ambivalent überrascht. Am Ende waren viele tausend Besucher vor Ort und ein guter Teil davon hat sich auch konkret durch das Ausfüllen der Teilnahmekarten beteiligt. Normalerweise haben Preisausschreiben eine längere Laufzeit als zweieinhalb Wochen, weshalb wir das Publikum möglichst schnell per Fernsehen, Radio und Zeitungsinseraten auf die Annäherung an die entlegenen Orte durch Wegbeschreibungen und Spielanleitungen vorbereiten mussten. Sind die Ankündigungen beispielsweise in einer Sprache abgewickelt, die sehr hermetisch wirkt, so ist das Risiko groß, dass das Publikum verprellt wird. Natürlich wandelt man da prekär an einer Grenze zwischen Populismus und elitären Dingen entlang.
So: Das macht schließlich auch das entscheidende Spannungsmoment bei deinen Arbeiten im öffentlichen Raum aus.
Se: Ähnlich verhält es sich mit dem interaktiven Internetprojekt „Who´s Afraid of Blue, Red and
Green?“, welches seit 1995 in verschiedenen Versionen online war. Die Bedienung ist letztlich sehr leicht. Das Interface ist so einfach strukturiert, dass es mit jedem Web-Browser funktioniert und die NutzerInnen nur bestimmte Zeilen anklicken müssen. Der technische Zugang soll so breit wie möglich sein, so dass sich der entscheidende Prozess ins Geistige verlagert.





So: Wobei du im Internet doch mit einem etwas anderen Publikum zu rechnen hast.
Se: Teilweise. Der Zugang ist zumindest in den industrialisierten Ländern sehr breit gestreut. Mit dem Medium Internet wirft man heute eher eine Generationenfrage auf, da jüngere Menschen naturgemäß eine höhere technologische Kompetenz haben. Was nicht heißen soll, dass sie automatisch auch ein höheres technologisches Bewusstsein haben.
So: Du hast gesagt, dass du gerne neue Strategien wählst, wenn das Medium für dich noch frisch ist. An welchen markanten Knotenpunkten deines Werks kannst du das rückblickend festmachen?
Se: Über die Jahre hinweg hat sich das Fotografische als rote Linie herausgestellt. Durch den dokumentarischen Aspekt ist es für mich nach wie vor ein geeignetes Medium, auch wenn gerade dieser Punkt im digitalen Kontext ständig analysiert und mit größter Vorsicht gebraucht werden muss. Der Begriff des „Dokumentarischen“ selbst ist einer ständigen Veränderung unterworfen und wird im Bereich der Filmtheorie auch viel befriedigender benutzt, weil dort das Dokumentarische von vornherein auf der Prämisse der „Konstruktion“ aufbaut. Während der Arbeit zum Video „Granturismo“, dessen Produktion neue Rahmenbedingungen und Probleme der Umsetzung mit sich brachte, ergab sich eine hohe Reibungsenergie, aus der unorthodoxe Lösungen herauswachsen konnten. Diese Unvorhersehbarkeit habe ich im Grunde immer genossen, wobei es mir zugleich wichtig war, Fragen nach dem Medium selbst zu stellen, so dass das Darstellende stets mitschwingt. Wie sich die Pigmentarbeiten auf das Grundmodul von Malerei beziehen, weil dort das reine, unvermengte Farbpulver abgefüllt wurde, rekurriert auch das Internetprojekt auf die visuelle Oberfläche des verwendeten Mediums.
So: Gleichzeitig schwingt das Technologische in deinem Konzept mit, wie sehr deine Medienarbeiten auch abstrakten Bildcharakter annehmen mögen.
Se: Massenmedien sind per se technologisch bedingt und es gibt heute einen wahren Dschungel an Umsetzungsmöglichkeiten. Wie Vilém Flusser richtig feststellt, steckt bei aller vermeintlichen Neutralität des Technologischen etwas von der Auffassung der Programmierer, der Entwickler und ihrer Bedingungen in den Apparaten. Es gibt so gesehen keine wertfreie Technologie.
So: Auch keine ideologiefreie?
Se: Sicher nicht. Mich interessiert es, diese eher unsichtbaren Momente hervorzuholen, die in der herkömmlichen Umgangsform mit Massenmedien nicht vordergründig auftreten. Wer würde sich im Alltag schon einen abgeschalteten Schirm anschauen?
So: Gerade deine „Screens, cold“ haben aber etwas Doppelbödiges. Man kann sie mit Wohlgefallen als monochrome Bilder anschauen, weil in ihnen Koordinaten der Moderne bedient werden. Andererseits verwirrst du Betrachter, denen weder das Technologische noch Kunsthistorische hinter den Bildern bewusst ist und die erst einmal nichts als eine obskure grüne oder graue Fläche sehen.



Se: Letztlich versuche ich das Publikum über ästhetische Lösungen anzusprechen, die eine hohe physische Präsenz des Werks beinhalten. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass das physische Gegenüber von großer Bedeutung ist, zumal die physische Erfahrung ohnehin in einem fragilen Zustand ist.
So: Was meinst du genau damit, dass die „physische Erfahrung in einem fragilen Zustand ist“?
Se: Dadurch, dass unser Leben immer stärker virtualisiert wird und wir zunehmend aus der Distanz handeln, hat sich unser Tun in Netzwerke verlagert, die letztlich sehr abgehoben sind. Es ist ein körperlich weniger spürbarer, völlig anderer Raum, in dem wir operieren. Natürlich sind wir noch „da“, aber trotzdem hat sich vieles in abstrakte Prozesse aufgelöst.
So: Wurde die Vorstellung davon, dass unser Leben durch und durch virtualisiert sein wird und der Link zum Körperlichen verloren geht, Anfang der Neunziger nicht total übertrieben? Das Horrorszenario hat sich jedenfalls nicht in dem Maße eingelöst, wie man ursprünglich befürchtete.
Se: Vielleicht nicht ganz in dem erwarteten Extrem, aber Momente der Virtualisierung kann man schon allenthalben spüren. Man ist inzwischen gewöhnt an eine Rezeption mittels des Interfaces Bildschirm, an viele automatisierte und unsichtbare technologische Prozesse. Ich glaube schon, dass man an Alltagshandlungen ablesen kann, dass sich der Körper vermehrt an diese Entwicklungen andockt.
So: Ich bin in diesem Punkt trotzdem eher skeptisch. Ist nicht vielmehr eine Gegenreaktion zu dem virtuellen Überangebot eingetreten und sind nicht sinnliche Faktoren wieder sehr wichtig geworden? Man sieht das ja gegenwärtig an den in meinen Augen merkwürdigem Hunger nach gemalten Leinwänden. Die Leute treiben zudem wie besessen Sport und - wer weiß - vielleicht ist die Erotik auch wieder stärker geworden.
Se: Letzteres zumindest glaube ich nicht. Wir sind eher in einem sexuellen als in einem erotischen Zeitalter. Die Verhältnisse sind sehr akkurat und pragmatisch geworden, die Werbung und die von ihr zugelassenen Umgebungsinhalte greifen bei allen erdenklichen Strategien in die psychologische Trickkiste der Sexualität und banalisieren sie damit zum inflationären Produktanteil. Nicht einmal ein Jogurt ist heute ohne sexuelle Anspielungen verkaufbar. Nebenbei scheinen sich feministische Errungenschaften in der Werbeindustrie, welche nicht unwesentlich von Frauen mitgestaltet wird, wenig abzubilden. Die langwierigeren Annäherungen zwischen Menschen, die Teil einer Erotik sind, nehmen eher ab. Die Körper sind heute einfach viel schneller verfügbar und das widerspricht dem langsamen Prozess der Annäherung, in dem die Spannung dadurch steigt, dass der mögliche Vollzug in der Zukunft liegt.
So: Ich habe das Gefühl, dass in der Kategorie des Begehrens heute ganz generell das Optionale überwiegt.
Se: Man kann am besonderen Austrainieren und Hintrimmen der Körper im letzten Jahrzehnt auch ein Indiz finden, wie die Virtualisierung voranschreitet. Im Grunde steht die Abstraktion im Raum, den idealen Körper herauszumodellieren, ja gewisse Vorstellungen zu globalisieren. Auf dem freien Markt der frei flottierenden und auf sich selbst zurückgeworfenen Körper entsteht für alle Beteiligten der Druck zu partizipieren, sonst bleibt das Optionale eine Fiktion. Ich nehme die Präsentationsebene ernst, weil die unmittelbare Begegnung mit Kunstwerken nach wie vor die entscheidende Ebene ist. Eine gewisse Fahrlässigkeit dem Werk gegenüber kann man auch in bestimmten kuratorischen Methoden entdecken, an Präsentationsformen, die den visuellen und akustischen Overkill der Medienwelt in die Ausstellungshäuser verlängern und das einzelne Werk erdrücken. Ich empfinde dies als Falle, weil das Objekt eine eigene Sprache spricht.
So: Wenn du in den verschiedensten Medienbereichen arbeitest, versuchst du möglichst professionell vorzugehen. Wie muss dein Netzwerk beschaffen sein?
Se: Ich arbeite fast immer mit SpezialistInnen der jeweiligen Bereiche zusammen. Letztlich sind die Projekte immer das Ergebnis von verschiedenen Produktionsteams, in denen ich versuche, meine Vorstellungen in allen Produktionsstufen zu überprüfen, wie ein Regisseur. Die uns umgebende hochtechnologische, multimediale Umgebung kann als Einzelperson qualitativ und ökonomisch nicht bewältigt werden. Es gibt viele Techniken - vor allem auch Rezeptionstechniken - die zu erlernen sind, um aus dem dargebotenen Informationsknäuel überhaupt noch sinnvoll Informationen herauslösen zu können. Es muss zudem dauernd in Frage gestellt werden, worauf sich die berichteten Sachen überhaupt beziehen: Sind die Referenzen noch nachvollziehbar oder bereits so abgehoben, dass der Informationswert gegen Null läuft? Weil es so viele verschiedene Oberflächenformen gibt, muss man parallel mehrere Medien im Auge haben, um das Ganze noch adäquat betrachten zu können. Die massenmediale Welt ist ein riesiges Universum, sozusagen ein Meta-Universum, das Probleme der Erkenntnis auf eine komplexere Ebene erhebt. Die Maschinerie, die hinter der Information steht, sollte daher ständig transparent gemacht werden. Es ist ein riesiger Hafen, in dem große und kleine Schiffe herumfahren, und alle haben ihre eigenen Transportkriterien. Einhergehend mit den Kriterien auch die Transporttechniken zu untersuchen, ist ein wichtiges Moment in meiner Arbeit.
So: Das heißt, du destillierst zentrale Elemente aus dem verknäulten Informationsgewebe wieder heraus. Wie würdest du die Essenz definieren?
Se: Wir sind umgeben von narrativen, konkreten, sehr zweckoptimierten Botschaften und Aufforderungen. Mit geht es eher um die „abstrakten“ Elemente dieser Medienmaschinerie. Es ist eine Art archäologische Arbeit, die bestimmte Entstehungsmechanismen oder auch Schwellen hervorholt, über die Bilder laufen und dabei gebrochen werden. Ich konzentriere mich im Wesentlichen auf Dinge, die in der üblichen Routine der Anwendung nicht im Vordergrund stehen.
So: Kannst du dafür ein markantes Beispiel nennen?
Se: Anschaulich wird das bei den fotografischen Arbeiten der „Sources“, wo man mit mikroskopischen Methoden auf die „Sprach“-Formen dieser Technologien zugreift, die sonst gar nicht oder nur teilweise sichtbar wären. Bei den abgeschalteten Bildschirmen verhält es sich ähnlich, weil man die Oberfläche bei den von innen beleuchteten, transparenten Monitoren aus der Sicht verliert. Es bleibt nichts anderes, als das Bild auszublenden, um diese Haut überhaupt zeigen zu können. Auch bei den „Exposures“, den jüngsten Arbeiten, geschieht sowohl im Hinblick auf den normalen Sehakt wie auf den fotografischen Prozess etwas völlig Paradoxes: Die Lichtquelle könnte man im Grunde nie so sehen, weil der Blendungseffekt zu groß wäre. Durch eine außergewöhnliche Perspektive und den Einsatz einer bestimmten Technologie kann ich den Apparat auf das hin untersuchen, was er uns üblicherweise nicht zeigt.



So: Wobei das natürlich wie in einem Dialog auch eine Rückwirkung auf die Apparaturen hat, die du benutzt.
Se: Es handelt sich um ein dauerndes Bearbeiten der Mittel, die ich selbst einsetze. Wenn etwas in eine Sprache hineingezwungen wird, ist damit ein Transformationsprozess verbunden und es gibt eine Übersetzungsproblematik. Wenn man zum Beispiel ein Filmbild in ein Fernsehsystem speist, wird ein eigentlich fotografisch erzeugtes Bild in ein völlig anderes Prinzip übersetzt. Das hat nicht nur formal eine Auswirkung auf die Bilder und ihren Betrachtungskontext, sondern schlägt natürlich durch auf die inhaltliche Ebene. Im Autorenfilm gibt es eine qualitative Unterscheidung zwischen dem Raum des Kinos als finalem Vorführraum und dem des Fernsehens. Die finanzielle und ideologische Macht von Hollywood hat dazu geführt, diese Räume zu verwischen und nach der Kinoerstverwertung die weitere Verwertung der Filme mittels Videokassette oder DVD ins Wohnzimmer zu verlängern. Würde man eine Person, die bisher Filme ausschließlich mittels TV-Gerät konsumiert hat, zum ersten Mal ins Kino schicken, wäre dieser Mensch wahrscheinlich zutiefst schockiert ob der physischen Qualität des originalen Mediums Film.
So: Auf einer nicht unmittelbar ersichtlichen Ebene wirfst du zugleich die Frage nach den politischen Faktoren, der Ideologien hinter dem Mediensystem auf.
Se: Das Faktum der Manipulation und Propaganda ist prekärer denn je, ob im politischen oder ökonomischen Bereich. Die Demokratien und ihr öffentlicher Raum sind an einem kritischen Punkt angelangt, die Entwicklung massenmedialer Standards hat zu spät eingesetzt. Information ist Handelsware und kaufbar und damit basta. Diese verkürzte Sicht hat zu erbärmlichen Qualitätsentwicklungen und zu massiven Interessenskonflikten geführt, wie man nicht nur in den USA seit langem oder in Italien vor allem im letzten Jahrzehnt beobachten konnte. Die „Berlusconisierung“ Italiens war für mich vom ersten Moment an sowohl ein Forschungsfeld wie auch ein Warnsignal. Der öffentliche Raum wurde dort in jeder Hinsicht privatisiert. Arbeiten wie „Screens, cold“ oder „Who´s Afraid of Blue, Red and Green?“ kann man durchaus auch auf dieser Ebene lesen. Andererseits werden sie über die Schiene der abstrakten Kunst, der Medienkunst und der reduktionistischen Fotografie rezipiert oder tauchen sogar in Randzonen der Malerei auf. Diese Unterschiedlichkeit hat mir immer großen Spaß gemacht. Aufgrund ihrer Leere sind die „Screens, cold“ natürlich auch Projektionsflächen.
So: Versuchst du durch den motivischen Entleerungsprozess nicht auch den Betrachter zu düpieren? Für die einen mögen die „Screens, cold“ als Meditationsfläche fungieren, andere wiederum sehen sich einem großen, schwarzen Loch ausgesetzt.
Se (lacht): ... der Projektionsfläche der Langeweile! Sicher, ich habe schon die unterschiedlichsten Reaktionen gespürt: Manche sehen die „Screens“ aus der Perspektive der Beruhigung und Konzentration, wie etwa konkrete Kunst betrachtet wird. Andere sehen darin puritanische Bilderstürmerei. Ich denke da lieber an Gerhard Richters Aussage: „Und das Gute an einem Bild ist eben nie das Ideologische, sondern immer das Faktische“ .
So: Trotzdem werde ich bei bestimmten Arbeiten wie dem Video „Granturismo“ das Gefühl nicht los, dass du bewusst einen zynischen Aspekt eingeschleust hast.
Se: Beim Video mag Sarkasmus gegeben sein, weil wir uns mit einer Umsetzungsart, die dem oft Kritisierten entspricht, sehr weit aus dem Fenster gelehnt haben. Mittels einer alltäglichen Autofahrt versuchen wir Methoden zu zeigen, die tagtäglich im Einsatz sind, aber aufgrund der Routine nicht mehr zynisch erscheinen. Erst durch die spezifische Aufbereitung begreift man diesen Zynismus des Verfahrens, der in der inflationären Erzeugung des „Sensationellen“ liegt. Aber es wirft sich natürlich schon die Frage auf, ob es zynischer ist, aus der Perspektive einer Formel-1-Helmkamera einen tödlichen Unfall im Wohnzimmersessel mitzuerleben oder eine ironische Simulation in einem Kurzfilm zu zeigen, der diese Sensationsgier lediglich metaphorisch in sich trägt.
So: „Granturismo“ ist aber auf doppelbödige Weise zynisch: Indem du Insekten wie Farbbeutel auf der Windschutzscheibe zerplatzen lässt, spielst du zugleich sarkastisch auf den Abstrakten Expressionismus an.



Se: Ich schätze viele Dinge der geometrischen oder sehr reduzierten Abstraktion, es geht aber nie so weit, dass man daraus eine Religion oder vergleichbare Haltung ableiten könnte. In dieser Hinsicht ist auch meine Referenz in „Who‘s Afraid of Blue, Red and Green?“ an Barnett Newman zu begreifen. Formal kann man noch Verwandtschaften nachvollziehen, aber der eigentliche Bezugsgrund hat sich komplett verändert. Wie die „Screens, cold“ bewegt sich auch dieser Werkblock auf der Grenzlinie zwischen medialem Dokument und einer Anspielung auf die Geschichte der Abstraktion in der Moderne. Abstrakte Malerei ist über weite Strecken redundant geworden, eine Anreicherung kann nicht schaden.
So: Spielt diese Art von Malerei-Kritik auch in deiner neuen Version von „Who‘s Afraid of Blue, Red and Green?“ eine Rolle?
Se: Ja, ich konnte das religiöse Pathos in Newmans Werk nie ausstehen. Am radikalsten finde ich ihn tatsächlich im Zyklus „Who´s Afraid of Red, Yellow and Blue?“ (1966/70), in dem es um die drei Grundfarben seines Mediums, der Malerei geht.
So: Inwieweit markieren die „Exposures“ die Scheidewand zwischen öffentlich und privat?
Se: Diese Scheidewand ist durchlässig geworden. Zu dem aktiven Part des medialen Seins gehört auch, dass wir in einer Gesellschaft agieren, in der mediales Selbstbewusstsein normal wird. Wo immer heute eine Fernsehkamera oder ein Mikrophon auftaucht, scharen sich die Menschen drumherum, um ihre Nase hineinzustecken. Das „öffentliche Grinsen“, medial verschlagwortet: „The Public Grin“, wurde zur kollektiven Selbstvergewisserungs- und Bedeutungssteigerungsmethode. Nur mehr über den Umweg der medialen Vermittlungsleistung wird unser Dasein bestätigt. Um in die Medienmaschinerie Einlass zu finden, muss man allerdings ihre Spielregeln akzeptieren, was sich im immer professioneller werdenden, schauspielerhaften Auftreten der ProtagonistInnen zeigt. Der aktive Part an diesem wechselseitigen Prozess ist mindestens so dubios wie der passive. Um in das Reich der grassierenden Talkshows zu gelangen und sich zu „veröffentlichen“, lassen viele Menschen die Hemmschwelle ins Bodenlose fallen. Bei Prominenten, die in das Getriebe des Regenbogen-Journalismus kommen, handelt es sich ja auch um ein diffiziles Wechselspiel zwischen Nutzer und Benutztem. Die „Exposures“ versuchen die Doppeldeutigkeit des Ausgeliefertseins anzusprechen, von dem unser Verhältnis zu den Medien mehr und mehr bestimmt wird. Die passive Form ist im Paparazzitum zu finden, wenn regelrecht Jagd auf Menschen gemacht wird, um diese zur Foto-Strecke zu bringen. Die Blitzlicht-Maschinen erleichtern die Jagd, weil sie Momente des Lebens aufhellen, von denen es ohne technologische Hilfsmittel gar kein Bild gäbe. Von der Seite des/der Gejagten aus betrachtet, ist man tatsächlich „exposed“ - ausgeliefert. Künstliche Lichtquellen, die sowohl dem Amateurbereich des Videographischen als auch dem Feld professioneller Studiolampen entstammen, sind das Thema von „Exposures“. Die Scheinwerfer sind gewissermaßen unsere künstlichen Sonnen. Jeder, der einmal in einem Fernsehstudio gesessen ist, weiß, wie man auch unter einer künstlichen Sonne schwitzen kann.
So: Im Hinblick auf unsere Mediengesellschaft war Andy Warhol tatsächlich visionär.



Se: Absolut! So sehr er die Mechanismen analytisch erkannt hat, so sehr hat er auch die Konsequenzen daraus gezogen und sich selbst zum Superstar erhoben. Andy Warhol´s Werk ist Medienkunst im eigentlichen Sinn, sein ganzer Habitus war an das Setting der Medienwelt angepasst. Er hat Prominente fotografiert und sich gezielt auf den Partys jener bewegt, über die tagtäglich in den Medien berichtet wird. 25 Jahre nach Erscheinen seines Buches „Andy Warhol´s Exposures“ und eingedenk seiner Bemerkung: „In the future, everybody will be world famous for 15 minutes.“ , muss man feststellen, dass es so ist, allerdings um welchen Preis? Angesichts des Stellenwerts der englischen Yellow Press war es vielleicht nur logisch, dass das Buch in einem britischen Verlag erschienen ist.
Inzwischen besteht ein derartiger Publicity-Bedarf seitens des Publikums, dass hunderttausende Menschen aus dem Publikum für absurdeste Shows gecastet werden. Eine Hand wäscht die andere - so gesehen ist das Fernsehen das hyperdemokratische Medium, in dem alles Platz hat und die Programme mehr und mehr vom Publikum definiert werden.
So: Von wann an hast du dich konkret mit der Auflösung zwischen öffentlichem und privatem Raum beschäftigt?
Se: Im Prinzip beschäftigen mich diese Phänomene seit jeher, nur ist meine Herangehensweise nach den ersten Jahren anders geworden. Anfangs versuchte ich des Materials direkt habhaft zu werden, indem ich Bilder aus dem Fernsehen, Zeitungen oder Kino abfotografiert habe und in andere Zusammenhänge gestellt habe. Ich wollte den Kontext brechen und einen neuen erzeugen. Nach einer Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich mich mehr um die Voraussetzungen dieser inflationären Bilder kümmern sollte. Um nochmals die Talkshows anzusprechen: Wenn jemand beim übelsten Beziehungsstreit vor Millionen Zuschauern die Instrumentalisierung seiner Erbärmlichkeit nicht mehr begreift, ist das Private ausradiert. So gesehen ist der öffentliche Raum zu einem Riesentrichter für private Phantasien geworden, die sich medial leicht zum skandalös Öffentlichen aufbauschen lassen, obwohl oder gerade weil sie die alltägliche Tristesse abbilden.
So: Gleichzeitig ist ja auch der öffentliche Raum im Schwinden begriffen.
Se: Durch das Internet wird der öffentliche Raum wieder privatisiert, weil man zu Hause vor dem Monitor sitzen kann. Die Agora, der klassische öffentliche Raum der Diskussion ist mehr und mehr durch Parkplätze ersetzt worden.
So: Und Werbeflächen! Inwieweit nimmt dein Internet-Projekt in der Version für New Yorks Times Square auf dieses Dilemma Bezug?
Se: Der Times Square stellt so ziemlich das Maximum dessen vor, wie ein von hohen Häusern eingefasster Platz mit Werbung „gestaltet“ werden kann. Dieser Ort ist ein Symbol für neoliberale Marktschreierei, für Werbung, bei der es um klare Botschaften, schnelle Vermittlung von Inhalten und Repräsentation geht. Jede verfügbare Fläche wird für Verkaufsbotschaften genutzt, jeder Quadratzentimeter Hausfassade ist bares Geld wert. Allein in diesem materialistischen Dschungel einen kleinen Raum für künstlerische Arbeiten aufzumachen, der ein anderes Prinzip verfolgt, ist wichtig, auch wenn die Verhältnismäßigkeit der Möglichkeiten zwischen künstlerischer Intervention und kommerziellem Raum wie der Kampf zwischen ungleichen Partnern ist. Ich hoffe, dass sich die Arbeit, welche auf einem der großen Screens gezeigt wird, etwas abheben wird von den gegenständlichen Images und konkreten Textbotschaften, weil sie in der Anmutung reduzierter ist als ihr Umfeld und selbstreferentiell angelegt ist. Sie schafft Löcher, die vom partizipierenden Publikum gefüllt werden können, ohne dass von ihnen verlangt wird, einen peinlichen (Seelen)-Striptease hinzulegen. Und es wird auch wichtig sein, die potentiellen MitgestalterInnen mit dem Bewusstsein auzustatten, dass ihre Beiträge tausende Dollars wert sind, die ansonsten mit Werbung verdient werden könnten. Man muss mit diesen extremen Rahmenbedingungen leider mehr und mehr leben.

Wien, Café Schopenhauer, im August 2003


1) Benjamin H. D. Buchloh: Interview mit Gerhard Richter. In: Gerhard Richter. Ausstellungskatalog der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. (Ostfildern Ruit, 1993), S. 95.
2) Andy Warhol und Bob Colacello: Andy Warhol's Exposures. (London: Hutchinson & Co, 1979).
3) M.J. Cohen: The Penguin Thesaurus of Quotations: (…..: Penguin Books, 2000).


- Günther Selichar
Suchbilder | 5 Öffentliche Interventionen
1992/93
5 Installationen in Oberösterreich
Ink-jet Print|Acrylspannfolie, Keilrahmen, Eisenstützkonstruktion, je 230 x 600 cm
Das Publikum war durch fünf verschiedene Fernsehspots eingeladen, sich an einem öffentlichen „Suchbild-Spiel“ zu beteiligen und die wirkliche Landschaft mit dem sich daneben befindlichen, veränderten Landschaftsgroßbild zu vergleichen. Im Rahmen dieses interaktiven Kunstprojekts wurde ein Rätselspiel mit Preisausschreiben durchgeführt. Die Betrachter waren aufgefordert, mindestens zwei der fünf „Suchbilder“ richtig zu lösen. Diese waren in einem Kreis von ca. 400 km installiert. Die eruierten Fehler mussten in eine Teilnahmekarte übertragen werden. In einer Laufzeit von drei Wochen wurden die „Suchbilder“ von ca. 8000 Personen besucht und ca. 1500 ausgefüllte Teilnahmekarten wurden an den Aufstellungsorten eingeworfen. Aus den richtigen Einsendungen wurden in mehreren Ziehungen im Fernsehen (ORF) die Gewinner diverser Preisen ermittelt. Über das Projekt existiert eine ORF-TV-Dokumentation.
© G.Selichar/VBK, Wien
Foto: C.Schepe, Linz; ORF

- Günther Selichar
Who’s Afraid of Blue, Red and Green?
1995|96
Interaktive Installation im Internet
Grundmodul und Beispiele aus dem Album
© G.Selichar/VBK, Wien
- Günther Selichar
Screens, cold
1997|2003
Kunsthalle Wien|Project Space, 2001
© G.Selichar/VBK, Wien
Foto: G.Koller, Wien
- Günther Selichar
Sources
1993|1995
Jeweils S|W-Fotografie|Leinwand und Keilrahmen, 230 x 90 cm
Installation Kunstverein Steyr 1995|Sammlung Fotomuseum Winterthur
© G.Selichar/VBK, Wien
Foto: W. Ebenhofer, Steyr
- Aus | From
Günther und Loredana Selichar, GT Granturismo
2001, Digitalvideo, 16:9, 5’10
© G.Selichar/VBK, Wien
- Günther Selichar
Exposure f
2002|2003, C-Print|Alucobond, 95 x 191 cm
© G.Selichar/VBK, Wien